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Wiedersehen nach drei Jahren – Reisebericht von Jens Augner, Juli 2022

So aufgeregt war ich lange nicht mehr vor einer Reise. Nach der coronabedingten dreijährigen Zwangspause habe ich das von der Sambia-/Fair Trade-AG unterstützte Projekt „Tikondane Community Centre“ in Katete (Sambia) endlich wieder besuchen können…

So aufgeregt war ich lange nicht mehr vor einer Reise. Nach der coronabedingten dreijährigen Zwangspause habe ich das von der Sambia-/Fair Trade-AG unterstützte Projekt „Tikondane Community Centre“ in Katete (Sambia) endlich wieder besuchen können. Begleitet haben mich die Schülerinnen Lilly Persch und Maxine Woskobojnik.

Kolleg:innen, Freund:innen und Bekannte hatten mich mit Koffern, Bergen von Kleidung, Technik und anderen dringend benötigten Dingen ausgestattet, so dass ich mit etwa 66 kg hin- und nur mit einer kleinen Handgepäcktasche zurückflog. Zudem habe ich die Geldspenden für das Projekt mitgenommen: 5.000 € von unserer Schul-AG, 5.000 € von anderen Fördervereinen, mit denen wir kooperieren, sowie die Einnahmen (1.440,– €) von einer Crowdfunding-Organisation, über die Tiko versucht, gezielt kleinere Projekte zu finanzieren.

Mich beschäftigte natürlich vor allem die allgemeine Entwicklung des Projektes, aber auch die ganz aktuelle soziale, wirtschaftliche und politische Situation Sambias. Neben einer massiven Verschuldung hat Sambia massiv unter den globalen Folgen des Krieges gegen die Ukraine zu leiden. Preissteigerungen insbesondere bei Energie und Grundnahrungsmitteln machen sich hier besonders bemerkbar, da sie für viele Menschen den Löwenanteil ihrer Ausgaben ausmachen. Allein während unseres Aufenthaltes stiegen die Preise teilweise deutlich.

Wir waren zunächst zwei Nächte in der Hauptstadt Lusaka. Ich war erstaunt, wie sehr die Stadt in den letzten drei Jahren gewachsen ist. Angeblich wohnen 20% der sambischen Bevölkerung in Lusaka. Für die meisten Menschen vom Land ist Lusaka der Sehnsuchtsort, der sozialen Aufstieg und ein gutes Leben verheißt. Nur für einige geht diese Rechnung auf.

In den Außenbezirken sahen wir viele edle Anwesen, gut gesichert, mit großem Garten und oft mehreren teuren Autos. Die entsprechende Infrastruktur, also Restaurants und Einkaufszentren, gab es zahlreich. Wo kommen all diese reichen Menschen her?

Auf unserer Erkundung durch die Innenstadt haben wir natürlich auch eine ganz andere Seite Lusakas gesehen – die lokalen Märkte waren eindrücklich wie immer.

Da es einer Mitfahrerin gesundheitlich nicht so gut ging, leisteten wir uns einen private Transport nach Katete, was auch angesichts unseres umfangreichen Gepäcks eine Erleichterung war. Während der Fahrt fiel mir auf, dass uns relativ wenige Busse begegneten. COVID und die Inflation haben das Angebot offensichtlich zurückgehen lassen. Zudem war die Great East Road auf dem größten Teil in einem erbärmlichen Zustand, der die Fahrzeit deutlich verlängerte.

Endlich in Tiko angekommen, wurden wir aufs herzlichste begrüßt. Es war schön, alte Bekannte wiederzusehen und an diesem wunderbaren Ort zu sein. Die überwältigende Begrüßung nach drei Jahren Abwesenheit hat mich sehr berührt – Koch Edison, inzwischen 86 Jahre alt und überaus zurückhaltend, wandte sich an mich und fragte „Will you stay with us?“.

Wir trafen wie immer viele andere interessante Gäste: Touristen, Freiwillige oder Studenten oder Auszubildende, die in Tiko praktische Phasen ihres Studiums oder ihrer Ausbildung absolvierten. So formte sich eine Gruppe, die viel gemeinsam geplant, unternommen, diskutiert und gelacht hat.

Im Vorfeld hatte ich dem Newsletter entnommen, dass die Tiko-Crew kürzere Arbeitszeiten und dementsprechend weniger Einkommen hat, weil das Projekt aufgrund der wegen COVID über zwei Jahre fast vollständig ausbleibenden Gäste und aktuell aufgrund der allgemeinen Preissteigerung und des geringeren Spendenaufkommens den alten Standard nicht halten kann. Wir reden hier von Monatseinkommen von 20 – 75 €… Auf dem wöchentlichen Management Committee Meeting, hier kommen die Verantwortlichen aller Tiko-Abteilungen zusammen, wurde verkündet, dass ein wesentlicher Teil der nächsten Zahlung des Lohnes bzw. der Aufwandsentschädigung in Form von Kirchenerbsen erfolgen wird.

Einige Häuser Tikos sind ein bisschen in die Jahre gekommen, aber den typischen Flair strahlt Tiko nach wie vor aus. Die Wasser- und Stromversorgung waren dieses Mal erfreulich stabil. Da in den letzten Jahren Touristen weitgehend ausblieben, werden die meisten Zimmer an Studenten vermietet, die Kurse im nahegelegenen Krankenhaus St. Francis besuchen.

Etwas seltsam war es allerdings angesichts der wirtschaftlich schlechten Lage, sich als Gast wie gewohnt das Essen im Tiko-Restaurant leisten zu können (aber das bringt ja auch Einnahmen für das Projekt), während die dort arbeitenden Mitarbeiter:innen Probleme haben, ihre (erweiterten) Familien satt zu kriegen, und die bei Halbtagesschichten auch kein Lunch mehr erhalten. Allerdings kommt Tiko weiterhin für die Kosten der Ausbildung ihrer Kinder auf.

Auf der Tiko Tour konnte ich sehen, was sich alles verändert hat. Dem Newsletter hatte ich bereits entnommen, dass Tiko versucht, sich mit der Produktion von Hühnerfutter und auch der Hühnerzucht eine sichere Einnahmequelle zu verschaffen, um angesichts sinkender (Spenden-)Einnahmen und Förderung mittelfristig eigenständig existieren zu können.

Bei einem Besuch eines Projektes in Uganda hat Elke eine Methode kennengelernt, Hühnerfutter auf natürliche und klimaverträgliche Weise sehr günstig zu produzieren. Die für das Hühnerfutter wichtigen Proteine sollen die Larven bzw. Maden der „Black soldier fly“ liefern. Diese ungefährliche Fliege legt enorm viele Eier, aus denen nach kurzer Zeit Maden entstehen, die sich von organischem Müll und insbesondere Dung ernähren und die mit anderen Zutaten wie Mais(resten) günstiges Hühnerfutter ergeben.

Haus für die Fliegenzucht („Fliegenzuchthaus“ 🙂 )

Noch experimentiert Tiko mit verschiedenen Stellschrauben (Fütterung der Larven bzw. die Dauer der Fütterung), um die Produktionsprozesse zu optimieren. Auch die Temperaturen müssen mitspielen. Während unseres Aufenthaltes war es außergewöhnlich kühl, so dass die Fliegen sich nicht in gewohnter Weise fortpflanzen wollten. Auch Algen sollen gezüchtet und als Futter genutzt werden.

Zudem hat Tiko eine Anlage zur Hühnerzucht gekauft. Die Aufgrund der günstigeren Fütterung (s.o.) günstigen Küken (Lege- und Verzehrhühner) sollen regelmäßige Einnahmen garantieren. Die grundsätzlich sinnvolle Idee ist aus meiner Sicht allerdings durch die hohe Inflation, die somit hohen Energiepreise (Wärmelampen, Inkubator…) und die zugleich sinkende Nachfrage gefährdet, denn letztlich müssen die Hühner ja – gewinnbringend – verkauft werden. Anderenfalls wollen diese ja gefüttert werden… Gegen Ende unseres Aufenthaltes wurde dann auch beschlossen, wegen der aktuell geringen Nachfrage vorerst keine Eier mehr auszubrüten, sondern diese zu verzehren.

Incubator und Brutmaschine
Das Ergebnis…

Die Jüngsten liegen Tikondane nach wie vor mit am meisten am Herzen. Die Early Childhood Education – Klassen werden von den Tiko-Lehrerinnen liebevoll umsorgt und gut auf die Primary School vorbereitet.

Während unseres Aufenthaltes unternahm eine Freiwillige aus den USA Untersuchungen bei etlichen Kleinkindern, um zu ermitteln, wie es mit der Ernährungssituation konkret aussieht. Dazu hat sie Dorfkinder gemessen und gewogen und sponsert auch für 2 Monate die Versorgung mit Onenepa, der in Tiko entwickelten speziellen Kindernahrung, in der alles steckt, was für ein gesundes Aufwachsen wichtig ist. Leider hat sich sonst keine dauerhafte Förderung für das Onenepa-Projekt ergeben.

Early childhood-Lehrerin Hildah

Elke, Leiterin von Tikondane, die anderen Freiwilligen und ich haben uns intensiv mit IT- und Fundraising-Fragen beschäftigt. Einige Freiwillige machten sich daran, Ideen und Material für Postings auf verschiedenen social media – Kanälen zu sammeln. Tiko-Crew-Mitglieder sollen diese fortzuführen, um so mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für Tiko zu generieren. Zudem soll die Crowdfunding-Plattform Donorsee systematisch für den Aufbau individueller income generating projects genutzt werden, da Tiko die bisherige Unterstützung nicht mehr leisten kann.

Denn die finanzielle Lage Tikos ist denkbar ungut. Mit dem Geld, das ich mitbrachte, sind zwar die nächsten zwei Monate gesichert, aber dann sieht es schlecht aus, da viele frühere Sponsorengelder ausbleiben. Deshalb bemüht sich Tiko noch intensiver, income generating activities zu starten. Aber angesichts der nötigen finanziellen und technischen Voraussetzungen und zugleich geringen Kaufkraft gestaltet sich die Suche nach einem wirklich funktionierenden Modell schwierig.

Und wie immer steht die Nachfolgefrage im Raum. Ein potentieller Nachfolger Elkes ist Mustapher, der bereits einige Zeit in bzw. für Tiko gearbeitet hat, eigene Businesses hatte (und hat) und zwischenzeitlich eine politische Position einnahm. Bei einem Essen bei ihm zuhause konnte ich ihn ein bisschen näher kennenlernen. Er hat einen guten Überblick über das, was zu tun ist, und entsprechende Umsetzungs- und Lösungsideen und genießt Respekt in der Tiko-Belegschaft. Ob er sich aber mittel- und langfristig an das Projekt Tiko binden will bzw. wird, bleibt abzuwarten.

Mustapher und zwei seiner Kinder bei ihm zuhause

Eines der schönsten Erlebnisse war der Besuch bei Doris, die von Beginn an in Tiko dabei war. Sie kann kaum lesen und schreiben und wenig Englisch, ist aber eine der umsichtigsten und hilfsbereitesten Personen in Tiko. Zudem versorgt sie unzählige Kinder der extended family. Mit großer Hingabe pflegt sie ihren Garten und versucht sich in der Umsetzung aller neuen Projekt und Anbau-Methoden, die Tiko anregt.

Doris in ihrer outdoor kitchen (zur Vermeidung von Atemwegserkrankungen) und mit holzsparendem Ofen

Kurzum: der Besuch Tikos war einmal mehr sehr eindrucksvoll. Tiko ist ein tolles Projekt, das etlichen Menschen Perspektiven gibt, die sonst keine großen Perspektiven hätten, und das Menschen in konkreter Not hilft. Die große Frage, wie das Projekt mittel- und langfristig personell und finanziell erhalten bleiben kann, aber bleibt.

Jens Augner, Juli 2022

Und zu guter Letzt: Elke, die nach wie vor unermüdlich für Tiko aktiv ist

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